Gilden/Bruderschaften

375 Jahre St. Antoni-Bruderschaft Nottuln 
von Hans-Peter Boer im Jahr 1983

Vorwort:

Im Sommer des Jahres 1823, also vor nunmehr genau 160 Jahren, erschien „im Verlage von Bernhard Wittneven, Vater, zu Coesfeld“ ein kleines Büchlein, das bis heute für die Nottulner Ortsgeschichte von erheblicher Bedeutung ist. Albert Wilkens, der rührige Nottulner Kaplan und Altertumsfreund, hatte auf 46 Druckseiten alle Informationen zusammengetragen, die ihm über die Geschichte der „Gilden und Bruderschaften der Stifts- und Pfarrgemeinde zu Nottuln“ zugänglich waren. Dieses kleine Schriftchen mit seinem bescheidenen blauen Papiereinband wird heute noch in einigen Nottulner Familien aufbewahrt. Es ist die wichtigste Quelle über die Geschichte des Nottulner Bruderschaftswesens geworden, denn viele Hinweise, die Albert Wilkens damals zusammentrug, sind inzwischen verschwunden. 

Verschwunden ist vor allem – ein unersetzlicher Verlust – die „Rolle der Broderschaft sancti Antonii in Nottlen, anno 1662 confecto“, das alte Bruderschaftsbuch also, in dem alle erwähnenswerten Nachrichten aus dem Leben der dörflichen Gemeinschaft aufgeschrieben wurden. Wilkens aber hat diese alte Buch noch gekannt, er zitierte aus ihm lange Seiten und vor allem die im Jahre 1753 neu gefassten Bruderschaftsstatuten, sodann zahlreiche Einzelbestimmungen und besonderen Ereignisse, so dass wir uns ein lebhaftes Bild des Schützenwesens im 17. und 18. Jahrhundert machen können.

Ist Wilkens Abhandlung heute auch unsere wichtigste Quelle zum Bruderschaftsleben, so kommen doch noch viele andere hinzu. Das Bistumsarchiv in Münster und das dortige Staatsarchiv verwahren in ihren Akten zahlreiche Hinweise auf die Geschichte der Bruderschaft selbst. Daneben hat sich ein kleines Archiv erhalten, das seit 1834 ununterbrochen geführt und in Nottuln aufbewahrt wurde. Unterlagen aus Privatbesitz, die nur mühsam über die Zeit des Faschismus gerettet wurden, ergänzen das Bild vortrefflich. Großartige Quelle zur Bruderschaftsgeschichte ist dann natürlich des Silberschatz, der sich aus ca. 180 Einzelstücken zusammensetzt, und uns hervorragende volkskundliche Informationen vermittelt. 
So lädt denn die günstige Quellenanlage geradezu ein, sich 375 Jahre nach dem Entstehen der Antonius-Verehrung in Nottuln – die genauen Hintergründe wollen noch beleuchtet werden – sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Im Jahre 1753 versammelten sich am 25. Juni „in des Wirths Tombrock“ Behausung die Brüder und Schwestern der St. Antoni-Bruderschaft, um eine neue Satzung zu verabschieden. Diesem Text schickten sie eine Einleitung voraus, in der die Geschichte der Gilde und ihr Selbstverständnis zusammengefasst worden waren. Hieran können wir sehr deutlich ablesen, dass auch diese dörfliche Gemeinschaft sich langsam entwickelt und über mehrere Stationen erweitert hat. Doch hören wir den Text der Chronik so, wie ihn Kaplan Wilkens aus dem 1662 angelegten Bruderschaftsbuch genannt „Die Rolle“ abgeschrieben hat:

„Demnach im Jahre 1609, früher und in folgenden Jahren, die Pest hier im Kirchspiel, so wie im ganzen Lande unerhört grassiert hat: so haben sich das Kirchspiel Nottulen und benachbarte Kirchspiele 1615 entschlossen, zur Ehre der seligsten Jungfrau und des großen und hl. Antonii Abbatis, als eines sonderbaren Patrons und Fürbitters bei Gott dem Allmächtigen zur Zeit der ansteckenden Krankheiten anzuordnende Prozessionen und andere Andachtsmittel, wie auch einen Festtag zu feiern. Im Jahre 1623 riss die Pest allein im Kirchspiel Nottulen 1100 Menschen fort; und als die Menschen so verstorben waren, dass die Leichname nicht mehr zu Grabe gebracht werden konnten: so haben hierauf im Jahre 1626 die noch lebenden Menschen mit Consens eines zeitlichen Bischofs von Münster eine Confraternitas oder Gilde unter dem Schutze und Namen des großen heil. Abts Anton errichtet; wofür Geld erlegt wurde, dergestalt, dass alljährlich um Mittsommer des Sonntags vor Johannis das Geld gegen sechs fürs hundert belegt werden; oder wenn Jemand alsdann ein Mehreres geben würde, das Geld aufs Neue belegt werden soll.

2. Für die Zinsen sollen alsdann zur Zeit der Zusammenkunft, wenn der Vogel abgeschossen sein wird, den folgenden Tag ein Hochmesse für die abgestorbenen Brüder und Schwestern nebst einer kleinen Erinnerung zur Liebe und Einigkeit, wie auch zwei lesende Messen gehalten werden. Das Übrige soll alsdann vertrunken werden; jedoch so, dass die verstörten Gemüter wieder einig werden; dass gehabter Zank, Zwiespalt wieder beigelegt werden; eine bessere Liebe und Einigkeit werde, und dass alle wieder brüderlich und schwesterlich leben; damit sie so dasjenige vom beleidigten Gott erlangen mögen, was sie begehren, dabei sollen alle Brüder und Schwestern gehalten sein, während der Prozessionen das Bildnis des hl. Anton umtragen zu lassen, welchem Bildnisse alle folgen sollen.

3. Als der erste Eifer erkaltet war, so ließ der erzürnte Gott abermals im Jahre 1636 in unserem Kirchspiel 900 Menschen durch die Pest hinsterben. Hierauf wurden die lieben Brüder so lange währender Pestzeit eifriger und liebreicher; die Andacht dieser Bruderschaft nahm zu; man rief einmütig Tag und Nacht Gott den Allmächtige, durch die Fürbitte der allerseeligsten Jungfrau und Gottesgebährerin Mariä und des heil. Großen Abts Anton, gemeinschaftlich zu. Endlich erhörte sie Gott auch und nahm die schädliche Krankheit von hiesigen und benachbarten Orten.

4. Nach und nach ließ der Eifer wieder nach, und im Jahre 1666 ließ der Allmächtige die Strafrute wieder sehen, so, dass in demselben Jahr wieder 15 durch die Pest weggenommen wurden. Hierauf erneuerten die Brüder und Schwestern ihren vorigen Eifer; weil sie versichert waren, dass sie durch die Fürbitte des heil. Anton bei Gott dem Allmächtigen von der erschrecklichen Pest waren befreiet worden. Sie erneuerten sodann die im Jahre 1626 zur Dansagung angeordnete Bruderschaft, welche deswegen geordnet war, damit der Allerhöchste fernerhin diese Kirchspiel und das ganze Vaterland von der Pest und allen ansteckenden Krankheiten bewahren, und von allem Übel, als Krieg, Brand, Hungersnot, allbarmherziglich befreien wolle; besonders noch: damit Friede und Einigkeit, auch wahre Liebe, Freundschaft und Vertraulichkeit sich vermehren möchten; und besonders unter den Brüdern und Schwestern der Antonianischen Bruderschaft dieselben verbleiben, und die Verstorbenen die Fürbitte aller auch genießen „

Dieser umfangreichen Einleitung folgen nun die Statuten der Bruderschaft in 24 Punkten, auf die an anderer Stelle noch näher eingegangen werden soll. Unterziehen wir aber zuerst die Frühgeschichte der Nottulner Gilde einer näheren Betrachtung.

Die Zusammenstellung zum Jahre 1753 wurde damals durch den Gildemeister Otto Hinricy geleistet. Wir dürfen auch vermuten, dass dieser Mann – zugleich Amtmann des Stiftes Nottuln und Notar – auch den Text entworfen hat. Aus der übrigen Geschichte des Stiftes und Dorfes Nottuln im 18. Jahrhundert ist bekannt, dass Hinricy ein sehr sorgfältiger Beamter war. Da er nach Wilkens die neue Satzung in das im Jahre 1662 erstellte Bruderschaftsbuch eingetragen hatte, ist zu schließen, dass der Bruderschaft 1753 die eigene Geschichte durchaus fassbar war und man noch zahlreiche Nachrichten aus der „Rolle“ selbst und den übrigen Papieren entnehmen konnte. Die Nachricht über die Pestzeiten werden übrigens durch die Eintragungen des Dechanten Hülsmann – von 1666 bis 1712 in Nottuln – bestätigt.

Nun gab es aber schon lange vor dem Jahre 1609 in Nottuln verschieden kirchliche Bruderschaften, die allesamt das Ziel hatten, die Gläubigen zusammenzufassen und sie zu einem christlichen Lebenswandel anzuhalten. Diese Vereinigungen von Laien hielten ihre eigenen Gottesdienste und Andachtsübungen, gingen gemeinsam zu den Prozessionen und trugen ihre verstorbenen Mitglieder mit der ganzen Bruderschaft im Gefolge feierlich zu Grabe. Betrachtet man die Quellen zur Frühgeschichte der Antoni-Bruderschaft genau, so sieht man deutlich, dass eigentlich von einer Neugründung 1609, 1615 oder 1626 keine Rede sein kann, vielmehr kam es zu einem Kultwandel, in dem die Verehrung des Abtes Antonius an die Stelle der Annen-Verehrung trat. Für das späte 15. Jahrhundert bereits ist die Verehrung der Mutter Anna und ihre Bruderschaft an der Nottulner Martinskirche bezeugt. Dazu bestanden noch Bruderschaften zum H. Fronleichnam und zum H. Martinus, der zugleich Patron der Kirche zu Nottuln ist.

Diese beiden Gilden sind für die Jahre 1360 bzw. 1383 gut bezeugt. In der Anne-Gilde wirkten übrigens stark Nottulner Kanoniker mit, aber nach Abschaffung dieser Sonderstellen und Pfründen für Geistliche verschwand die Annen-Prozession. Direkt am Kirchhof hatten die Gilden übrigens eine Spieker, der wohl als Versammlungs- und Wärmehaus gedient haben mag. Er wird in späterer Zeit Schule und verbirgt sich heute unter dem Anwesen Bläu-Kentrup.

Wir erfahren durch Albert Wilkens noch, dass nach der – vielleicht spontanen – Aufnahme der Antoniusverehrung 1609, der offiziellen Stiftung der Bruderschaft 1615, einer Verbesserung 1623 und ihrer offiziellen Bestätigung 1626 im Jahre 1631 eine Vereinigung mit der Annen-Gilde stattfand, von der man auch die Prozession am 26. Juli übernahm. Danach sollen noch einmal 1651 die Statuten erweitert worden sein, bevor 1662 das offizielle Bruderschaftsbuch angelegt wurde. Für die Folgezeit und insbesondere für das 18. Jahrhundert fließen die Quellen nun reichlicher und sie geben uns ein buntes Bild der Bruderschaft wieder, die vor allem durch drei Element wesentlich geprägt worden ist: Die Antoniusverehrung, das Totengeleit und das Schützenbrauchtum. Diese Bereiche und ihre alten Organisationsformen sollen nun zunächst einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden. 

In der bedrängenden Pestzeit des Jahres 1609 hatte man sich mehr oder minder spontan unter den Schutz des Abtes Antonius gestellt. Der Stiftung der Bruderschaft 1615 und den Maßnahmen der Jahre 1623 und 1626 folgte das böse Pestjahr 1636, in dem wieder 900 Menschen dahingerafft wurden. Mündliche Tradition berichtet, dass man die Leichen nicht auf dem Kirchhof begraben habe, vielmehr sei dazu der Pestacker bestimmt gewesen, der nach alter Tradition in der Steverheide links des heutigen Mittelweges nach Norden gelegen haben soll. Die Bevölkerung des Münsterlandes stand insgesamt unter dem fruchtbaren Eindruck der Pest. In der Bauernschaft Gescher/Schöppingen gelobten die Bauern zum Beispiel, den 16. Januar wie einen Karfreitag, den 17. Januar aber, das Antoniusfest, wie einen Ostertag mit zweistündiger Andacht zu begehen. Die gleiche Quelle berichtet auch, in Nottuln hätten Mensch und Vieh drei Tage gefastet und die ganze Gemeinde hätte einen Umgang um Kirche und Kirchhof gehalten. Tatsächlich bildeten Gottesdienst, Gebet und Umgang mit der Antoniusfigur den Mittelpunkt des Nottulner Antoniuskults bis in unsere Tage.

Aus dem 17. Jahrhundert haben sich nun keine Nachrichten hierüber erhalten, allerdings gibt es Berichte der späteren Zeit. Im Januar 1771 wendet sich der Nottulner Dechant Joseph Anton Wennemar Leuchtermann an den Generalvikar in Münster und bittet in einer Eingabe um Neuregelung für das Antoniusfest, das von einer Kalenderreform bedroht ist:
„Es ist geweßen das Jahr nach der gnadenreichen Geburt Jesu Christi 1615, da man im adlichen Stift und Kirspel Nottelen das Fest des Heiligen Einsiedlers Antonii als erwählten Patronen wider die leidige Pest am 17 ten Tag Monats Januarii zu feyern angefangen und bishero continuiret, zeit zwaren meines unterschriebenen, als des Orts Pfarren zu 44 Jahren, an welchen Tag auch unterschiedliche Kirchen Dienste, singende Früh- und Hohe Messen, Früh- und Hauptpredigt, Prozession um den Kirchhof cum deportatione sanctissimi Sacramenti unter absingender Litaney von allen Heiligen, mit folgender Antiphon: peccatis nostris pp cum collecta gehalten und mit sacramentalischer benediction beschlossen worden. Dabey sich die Eingesessenen, auch Frembde, häufist und auferbaulich eingestellt, darzu auch durch solemniter Geläut, sowohl tags vor hin als am Tag selbsten mehr aufgemuntert sind.“

Die Beschreibund des Festtages ist liturgisch sehr genau und zeigt deutlich ein barockes Kirchenfest, das am Vortage feierlich eingeläutet wird. Mehrere Gottesdienste mit Predigten eröffnen den Festtag selbst, die Prozession führt das Sakrament mit sich, unter Absingung der Litanei von allen Heiligen geht es um den Kirchhof. Sodann schließen sich Antiphon und feierlicher sakramentaler Segen an. Ausdrücklich betont Dechant Leuchtermann, dass sich neben den Eingesessenen aus Dorf und Kirchspiel auch viele Fremde zum Antoniusfest einfinden.

Die Statuten der Bruderschaft von 1753 können wir nun Details zur Prozessionsordnung entnehmen, denn dort wird im Abschnitt 19 folgendes festgelegt:
„19 no. Wenn die Prozession auf der heil. Anna Tag, oder auch sonst gehalten wird um Abwendung allerlei Unglücksfälle, als Krankheit und betrübte Zeiten: so soll das Bruderschaftsbildnis des heil. Anton jedes Mal von zwei erwachsenen Knaben, welche beständig sind, getragen werden, wofür der Gildemeister mit ihnen cotrahirt; hiernach folgen in der Ordnung zunächst die Jüngeren; sie sollen als Schutzkinder vorzüglich der Prozession folgen, und zwar dem Bildnisse zunächst; dann die Gildemeister; hiernach die Könige und Schäffer, zuletzt die Aelteren. Die Schäffer sollen zur Zeit das gemeine Volk abwehren; damit die Gilde und Prozession in keine Unordnung gerathen und dem Allerhöchsten Guthe keine Unehre möge zugefügt werden. Alle Brüder sollen und wollen den Schäffern zur Zeit unter derProzession gehorsam seyn, und denselben in Haltung der Ordnung beistehen.“

Die Bilderträger um den Kirchhof erhielten übrigens für ihre Mühe je eine Schilling. Im Vorgriff auf weiter Betrachtungen zeigt sich hier schon ganz klar, dass die Bruderschaft als fester Block innerhalb der Pfarre auftrat, mag das Fest auch noch so sehr eigentlich alten Kirchspielsleuten und der ganzen Gemeinde gelten.

Die Feier sollte nunmehr im Jahre 1771, als man für das Hochstift Münster einen neuen Kalender schuf, ganz wegfallen. Vor allem legte man in Münster wert darauf, dass die vielen Feiertag in der Woche verschwänden. So blieb als Möglichkeit nur die Verlegung des Festes auf einen der Sonntage vor oder nach dem Antoniustag. Generalvikar Tautphäus entschied dazu am 9. Januar 1771; man möge am Tage des Heiligen Antonius selbst ein Hochamt mit sakramentalem Segen halten, jedoch kein feierliches Geläut veranstalten, vielmehr „so dann zu halten die Prozession, Predigt und übrige Feyerlichkeit auch das festtägliche Geläut der nechts darauf folgende Sonntag ein für allemal eingesetzt…..“

Nach dieser Generalvikariatsanweisung wird in etwa seit über 200 Jahren gehandelt. Veränderungen gab es nur insoweit, als Dechant Lieftüchter im Jahre 1901 nach Rücksprache mit dem Bischof bei dem Umgang auf die Mitführung des Sakramentes verzichtet. Aus dem Jahre 1791 ist auch erstmals der Begriff der „Pestmesse“ für den besonderen Gottesdienst der Bruderschaft am Antoniusfest bezeugt. Damals veränderte man offensichtlich die Folge der Prozession, denn 1792 folge zunächst die Geistlichkeit dem Antoniusbild, dann schloss sich die Bruderschaft an, „vier und vier in der Ordnung“.

Die Pestmesse am Antoniusfest zieht auch heute noch viele Gläubige an, in den letzten Jahren ist sogar eine Vergrößerung der Besucherzahlen festzustellen. Gerade in den 60er und 70er Jahren nahm die Teilnahme an der Pestmesse deutlich ab, hier schein sich der Trend gewandelt zu haben. In der Pestmesse wird traditionell keine Predigt gehalten. Die Kollekte dient dem Krankenhaus. Antiphon und Bittgebet mit sakramentalem Segen schließen die Feier ab. Außergewöhnlich an der Abfolge ist auch, dass noch immer der sehr späte beginn um 11.30 Uhr gilt, wie er schon 1823 von Albert Wilkens notiert wurde. Verschieden Versuche, die Pestmesse in die normale sonntägliche Gottesdienstabfolge einzubauen, wurden zuletzt in den 
50er Jahren unseres Jahrhunderts durch traditionsbewusste Bruderschaftsmitglieder verhindert. 

Seit vielen Jahren wird die Pestmesse durch den Männergesangsverein von 1860 mitgestaltet. Diese Musikgemeinschaft ging seinerzeit aus der St. Antoni-Bruderschaft hervor und hielt immer engen Kontakt zu ihr. Durch die Musikauswahl der letzten Jahrzehnte verschwand mehr und mehr der Brauch, in der Pestmesse allein die sieben bekannten Strophen des Antoniusliedes zu singen. Herkunft von text und Melodie diese fest nur im Münsterland bekannten Liedes sind nicht zu klären. Schein der Text auch durch eine Revision des 19. Jahrhunderts hindurchgegangen zu sein, so deuten doch Melodie und Rhythmus auf ein älteres Schreitlied hin, das so recht zu den Aufzügen der Bruderschaft passen mochte. (Abdruck Gesamttext an anderer Stelle!)

Bis heute steht auch noch eine genaue kunstgeschichtliche Untersuchung der Antonius-Statue aus. Formen und Charakter deuten aber sehr klar in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts, auch wenn man im Detail die Kunst des 15. noch spüren kann. Die derzeitige farbige Fassung ist unbedingt historisch und sollte einmal untersucht werden. Der Heilige Antonius ist hier mit seinen klassischen Attributen dargestellt: Er trägt das Buch, das auf seine Rolle als Kirchenlehrer verweist. Das Schweinchen an seiner Seite erinnert an die Schutzfunktion für das Vieh. Zu seinen Füßen zeigt sich – wenngleich überraschend personifiziert – das höllische Feuer, die Seuche, in Gestalt eines Teufels, der sein Krallen gegen das Gute erhebt. Im Laufe der Zeit verlor Antonius an seinem Stabe das Taukreuz und die eigentlich dazugehörigen Glöckchen. Gut gemeinte Ergänzung und heute schon originell ist die uralte Handstockkrücke, die eine fromme Seele zum Ersatz hinzufügte. Diese Statue wird seit Menschengedenken von der Bruderschaft verwendet, ihr dauerhafter Aufenthalt in Nottuln ist nach den Belegen nicht anzuzweifeln. 

Um 1850 wurde in einer Inventarliste der Bruderschaft notiert, dass man neben einem Gestell zum Tragen des Antonius-Bildes noch einen großen Glaskasten zur Verfügung habe, „worin der H. Antonius ausgestellt ist“. Hierzu gehörte noch „ein steinerner Fuß mit Steinplatte dazu“. Hinzu kamen noch diverse Leuchter und „ein Blumen-Kranz zur Verzierung des H. Antonius Bildes“. Wann die heute stets verwendet Silberkrone, wohl ein Stück des Barock, hinzukam, ist nicht bekannt. Nachweislich aber war die Figur des Antonius oder aber der Aufbewahrungskasten noch mit Vortivgaben versehen. Im Silberschatz der Bruderschaft haben sich 17 Vorivschilder erhalten, die dem H. Antonius in der Kirche zu Nottuln geweiht worden sind. Von diesen sind sieben auf das Jahr 1837, eines auf das Jahr 1839 datiert. Vielleicht sind diese Stiftungen auf einen der letzten bekannten Ausbrüche einer Seuche in unserem Heimatdorf zurückzuführen, was jedoch nicht in allen Details klar ist.

Um die Stellung der Bruderschaft nach außen noch zu verdeutlichen, regt schon 1855 der Vorstand an, eine Kollekte unter den Mitgliedern durchzuführen mit dem Ziel, auf dem Kirchplatz eine Antoniusstatue als Pendant zur neuen Maienstatue und zur gerade renovierten Kirche zu platzieren. Diese Aktion kam aber erst nach langer Verzügerung zustande. 1893 beschloss man erneut eine Kollekte und richtete die Antoniusfigur auf hohem Sockel dann endgültig im Jahre 1897 auf dem Stiftsplatz südlich der Kirche auf. 1959 wurde Antonius von dort aber weg zu Kirchplatz versetzt, wobei sein Sockel erheblich gekürzt wurde und der gesamt Unterbau wegfiel. Dieses Antoniusbild in Sandstein zeigt den Heiligen mit dem Schwein, jedoch ohne das Taukreuz. Es ist ein typisches Werk des Historismus, das durch die Umsetzung erheblich an Gewicht verloren hat.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es zahlreiche Kultformen rund um den Heiligen Mönchsvater Antonius in unserer Heimatgemeinde gibt. Dabei wird von Prozessionen bis zum Lied, von der Statue im Innern der Kirche bis zum demonstrativen Außenkunstwerk, von der Kerzenverehrung bis zur Votivgabe keines der Felder klassischer Devotion ausgelassen. Nicht einmal die liturgischen Reformen der letzten Jahrzehnte haben hier einschneidende Änderungen gebracht. Bis etwa Mitte der 60er Jahre bestand noch die Möglichkeit, am Antoniustage Kerzenopfer zu erwerben, die in der Oktav nach und nach vor dem Antoniusbild abgebrannt wurden. Nachdem dieser Brauch verschwunden ist – wie die beiden alten Damen, die die Kerzen an den Kirchentürmen anboten – regte erst jüngst ein älterer Antonibruder an, diese Übung wieder aufzunehmen. Er erhielt für diese Anregung lebhaften Zuspruch – Beweis dafür, wie zäh auch die alten Formen der Devotion und Verehrung der H. Antonius in unserer Pfarre noch leben. 
Organisation und Schützenfest der Antoni-Brüder im 18. Jahrhundert

von Hans-Peter Boer (C)



Das Pestjahr 1609 gilt ganz allgemein als Gründungsjahr der 
St. Antoni-Bruderschaft. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass zunächst nur von einer ganz spontanen und intensiven Antoniusverehrung auszugehen ist. Organisatorische Formung erhielt die Gemeinschaft erst 1615 und 1626. Im erstgenannten Jahr beschloss man, der Antoniusverehrung feste regeln und einen Festtag zu geben, 1626 dagegen wurde „mit Consens eines zeitlichen Bischofs von Münster eine Confraterintas oder Gilde unter dem Schutze und Namen des großen und heiligen Abts Anton errichtet“.

Bevor wir uns nun dem reichen Schützenbrauchtum der Bruderschaft zuwenden, wäre diese ihre Organisation genauer zu betrachten. Wenn man unterstellt, dass 1609 das ganze Kirchspiel sich dem Seuchenpatron Antonius zuwendet, so bedeutet die Gründung einer eigenen Bruderschaft natürlich schon eine Auslese. Sicherlich wird nicht jeder Bewohner des Dorfes und Kirchspiels Mitglied der Bruderschaft geworden sein. Deutlich nämlich das Bemühen um Abgrenzungen. 

Spätestens die Satzung von 1753 – sie spiegelt aber auch schon die älteren Verhältnisse wieder – schreibt recht genau vor, wie man sich das Leben und Wirken der Bruderschaft vorzustellen hatte. Schon die Aufnahme in die Bruderschaft erfolgt nach genau festgelegtem Verfahren:

„8 mo. Wenn einer verlangt, in diese Bruderschaft eingeschrieben und unter den Schutz und die Fürbitte des heil. Abtes Anton mit angenommen zu werden, um so der guten Werke mit teilhaftig zu werden, der soll sich persönlich beim ältesten Gildemeister melden; dieser soll solches den sämtlichen Brüdern melden, und sich erkundigen: ob der Angemeldete ehrliche geboren, eines guten Handels und Wandels sey; wenn dies, kann er angenommen werden; jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass, wenn von seinen Eltern keiner in einer Bruderschaft gewesen, er 14 Schillinge zur Verbesserung der Gilde, falls aber einer seiner Eltern darin gewesen, 4 Schillinge gebe.“

Übrings war ein Austritt aus der Bruderschaft auch möglich, dann jedoch sollte der sich verabschiedende Bruder ebenfalls 15 Schilling hinterlegen. Solange das nicht geschehen war, konnte man auch den Zechbeitrag zum Schützenfest von ihm fordern und ihn zu den Veranstaltungen der Bruderschaft aufbieten. Bei der strengen gesellschaftlichen Struktur der früheren Jahrhunderte dürfen wir den sozialen Druck der kleinen Gemeinschaften nicht unterschätzen, freie Vereinswahl oder Entscheidungen über Beteiligungen oder Nichtbeteiligungen am Schützenfest oder Prozessionen und Begräbnissen gab es im heutigen Sinne nämlich nicht. Ausdrücklich bestimmte die Satzung ja auch, dass jedem neuen Mitglied der gesamte Text vorzulesen war, wenn es in das Bruderschaftsbuch eingeschrieben würde. Auch hatte der Bewerber ein Versprechen abzulegen. Die Treue zur Bruderschaft war durch die klaren Ordnungen garantiert. 

Auch wenn leider das Bruderschaftsbuch von 1662 und damit die Mitgliederlisten verschollen sind, so lässt sich doch zumindest seit dem 18. Jahrhundert erschließen, dass die Mitgliedschaft der Nottulner Confraternitas sozial eng umschrieben war. Zu ihr gehörten vor allem die wohlhabenderen Bauern aus den umliegenden Bauernschaften, die größeren und mittleren Bauern im Dorf, die Kaufleute und Handwerker. Nicht nachweisbar sind in erhaltenen Listen z. B. die landlosen Kötter, Tagelöhner und die Armen. Diese Gruppen – einmal als das „gemeine Volk“ bezeichnet – konnten sicherlich Anteil nehmen an Gottesdienst und Antoniusverehrung, jedoch nicht an den Aufzügen, Festen und internen Veranstaltungen der Bruderschaft.



Die Leitung der Bruderschaft im 18./19. Jahrhundert

Die von Albert Wilkens gerettete Satzung von 1753 gibt die genauen Regelungen sehr treffend wieder. Sie mögen hier wörtlich wiedergegeben und damit dokumentieren, wie sehr schon das alte Genossenschaftswesen doch stark demokratische Prinzipien walten ließ, wenn auch nur innerhalb der eigenen eng umschlossenen Gruppe:

10 mo. Sollen und wollen wir jedes Mal zwei Gildemeister haben; und soll dem ältesten die Bruderschaft und sonst Alles, was der Gilde gehört, anvertraut werden. Derselbe soll auch verordnen: wie am Besten und zu Gottheil der Gilde könne überlegt werden; drei oder vier der ältesten Brüder genehmigen dieses.

11 mo. Sollen und wollen wir die Gildemeister jährlich verändern, und folgender Gestalt die Wahl vornehmen: 

Die Gildemeister sollen jeder zwei, als einer zum ältesten und den andern zum jüngsten aus den Brüdern benennen; hierauf sollen acht eigens von den Brüdern erwählte Brüder (Korgenossen) aus den vier ernannten zwei wählen. Diese acht treten alleine in ein Zimmer und wählen nach ihrem Gutdünken, auf Gewissen, Gutachten und Verantwortung, mit Hintansetzung der Freund- und Feindschaft, des Hasses, der Gunst, und sonst Alles nach ihrem Gewissen, die Gildemeister, auch die Schäffer, welche dazu tauglich sind, und ihnen am tauglichsten zu seyn scheinen aus den Mitbrüdern. Der Schäffer schreibt sodann die Namen auf; verkündigt sie öffentlich den Brüdern und Schwestern. Während dieser Zeit stattet der älteste Gildemeister vor den Brüdern die Rechnung ab; worauf richtig quittiert wird…“

Die Gildemeister hatten sich um alle Belange der Bruderschaft zu kümmern, den Terminkalender zu führen und die Bruderschaft aufzubieten, wenn es sich als notwendig erwies. Sie hatten darauf zu achten, dass alles erfolgte „wie es das Gesetz vorschreibt“. Auch hatten ihnen und ihren Anweisungen alle Antoni-Brüder streng zu folgen. Die Gildemeister fällten letztlich auch die Entscheidung über Aufnahme und Nichtaufnahme eines Bewerbers und fährten die Aufsicht über die Bücher und Geldgeschäfte der Bruderschaft. Jeweils der Älteste Gildemeister war zugleich auch der Rechnungsführer, der der Vollversammlung einmal im Jahr die Rechnungslegung geben musste. Wie schon die Statuten selbst es bescheinigen, hatte die Bruderschaft im Laufe der Jahrzehnte einige Kapitalien angesammelt, die man jeweils für 6% ausgeliehen hatte, um mit den Zinsen die laufenden Kosten zu decken. 1753 waren dies immerhin 6 Kapitalien von zuammen 150 Reichstalern. 

Nach den Gildemeistern sind die Schäffer erwähnenswert:
„Sie sind die Vollzieher der Gesetze und müssen Ordnung und Ruhe halten bei Andachten und Erlustigungen. Sie müssen die Herren Geistlichen einladen und aufwarten, und sorgen, dass sie Tabak und Bier erhalten; ferner das Gildebier bei der gnädigen Frau Äbtissin prüfen lassen und ihre Mägde zum Tanz einladen.“ Der Jüngste Schäffer hatte zudem das gesamte Benachrichtungswesen in der Bruderschaft zu übernehmen. 

Neben diesen mehr „zivilen“ Posten ist die militärische Leitung beim Schützenfest erwähnenswert. Der „Kommendant“ ist beim öffentlichen Auftritt der „eigentliche Anführer“ der Bruderschaft. Er führt die Schützen zur Vogelstange und wird ebenfalls durch die acht Korgenossen gewählt. Die Fahne der Bruderschaft wird vom Fähnrich „bei Prozessionen und anderen Feierlichkeiten das Jahr hindurch“ getragen. An den Tagen der Lustbarkeit muss er auch den Fahnenschlag vollziehen vor den Ortsbehörden. Diese Ehrung kam wohl im 19. Jahrhundert außer Gebrauch. Zudem ist natürlich Musik vonnöten. 1743 schenkte „Herr August Ferdinand Rübendahl aus Münster“ der Bruderschaft eine neue Trommel, die Satzung von 1753 forderte ausdrücklich den Zug der Bruderschaft zur Vogelstange unter Trommelschlag. Albert Wilkens benennt 1823 den Tambour Caspar Niemann und berichtet von zwei Musikanten und dem Trompeter, die beim Schützenfest zechfrei sind.

Die Königswürde wurde wie heute noch einmal im Jahr beim Schützenfest vergeben: „Der König gelangt durch Abschießen des Vogels von der Stange zu seiner Würde. Der alte König tut, nach vorhergehendem Gebet und Ermahnen zur Vorsicht mit den Gewehren, den ersten Schuss. Bei der Zeche und auf dem Tanze erhält der neue König königliches Ansehen; trägt einen silbernen Vogel, und seine Kette mit vielen Schildern, welche er an den Gildemeister wieder ausliefern muss; erhält einen neuen Hut und wird mit Musik des Abends nach Hause begleitet.“

Interessanterweise kannte die Antoni-Bruderschaft noch den Schenken, eine Art Königsdiener, der bei der Tafel aufwarten durfte und außerdem der Magd des Gastwirtes schenken helfen musste. Der Schenk hatte um 1800 ebenfalls freie Zeche und erhielt für seine Tätigkeit sieben Schillinge.

Wie in allen alten Gesellschaften früherer Zeit spielte der Senior, das älteste Mitglied also, eine besondere Rolle. Er war Garant dafür, dass alles alte Brauchtum und die gewöhnlichen Rituale unverändert abliefen und stand der Bruderschaft in allen Fragen mit Rat zur Seite. Grundsätzlich gehörte der Senior zu den acht Korgenossen und wählte also die Gildemeister, Schäffer und Offiziere mit. Wichtig war auch noch die Bestimmung, mit Streitfällen niemals vor irgendwelche Gerichte zu gehen, vielmehr alles in der Bruderschaft zu regeln. Diese hatte also intern eine gewisse Ordnungs- und Polizeigewalt, was die Exklusivität wieder erhöhte.

Diese Organisation der Bruderschaft hat in Nottuln bis zum Jahre 1838 Bestand gehabt. Damals entschloss man sich – wohl auch unter dem Einfluss des aktiven Bürgermeisters Müller – dazu, einen permanenten Vorstand von acht verdienten Mitgliedern zu begründen, dem ein Direktor vorangestellt werden sollte. Ebenfalls übernahm man im Laufe des 19. Jahrhunderts die preußische Ordnung bei den Offizieren und der Gestaltung des Schützenzuges, so dass das Schützenfest sein bis heute gültiges Bild bekam.


Die alte Folge des Antoni-Schützenfestes

Die heutige Zeit kennt die St. Antoni-Bruderschaft überwiegend als Schützenbruderschaft, da ihre sonstigen Aufgaben und Prägungen zumeist überdeckt worden sind durch Brauchtumswandel und gesellschaftliche Veränderungen. Das Schützenfest gehört eindeutig von den frühen Tagen der Bruderschaft als weiteres wesensbestimmendes Element hinzu und ergänzte Antoniusverehrung und Totembrauchtum um die weltliche Variante der Lustbarkeit.

Bis auf den heutigen Tag knallen an den Tagen „tüsken Saien und Maien“ landauf landab im ganzen Münsterland die Büchsen, zeihen die Schützengesellschaften durch Stadt, Dorf und Bauernschaft zu ihren Vogelstangen und geiern teils urtümlich Feste. Die Wurzel dieser Festesfreude liegt allerdings in ganz profanen Bemühungen der Landesherrschaft. In den wirren Verhältnissen der frühen Neuzeit hatten die kleinen Länder keine Möglichkeit, ein eigenes stehendes Heer zu unterhalten, so bemühte man sich, zu Verteidigungszwecken die gesamte Bevölkerung heranzuziehen, auszurüsten und in den Waffen zu üben. Dabei verbanden sich natürlich diese Übungen als angenehme Unterbrechungen des Alltages sehr schnell mit froher Festivität. Eine „Gemeine Münsterische Landesordnung“ aus dem Jahre 1571 forderte zum Beispiel, dass das „Vogelschießen an einem jeden Orte des Jhars einmall beschehe, doch dass niemand auß frembden Bawrschafftenn dazu geforderte: und je auff Zwantzig Personen eine Tonne Keuts oder Biers und mit mehr angeschlagen oder bestalt werde. Soll auch solche Gesellschaft lenger nit alß einen Nachmittag wehren und ein jeder bei Tag zeitlich widerumb gen Hauß begebenn“.

Unter dem kriegerischen Landesherrn Christoph Bernhard von Galen, der von 1652 bis 1661 im benachbarten Coesfeld residierte, wurden Bestimmungen herausgegeben, nach denen alle männlichen Untertanen auf dem Lande verpflichtet waren, sich an jedem Sonntagnachmittag unter der Leitung des Kirchspielführers in den Waffen zu üben. Aufgeboten wurden dazu alle Männer zwischen dem 16. und 60. Lebensjahr. 

Trotz allen martialischen Tuns haben das Schützenfest und speziell das Vogelschießen schon sehr früh eher den Charakter einer Lustbarkeit denn den militärischer Übung bekommen. Es ist das Hochfest im Leben eines Dorfes, die einzige Abwechslung weltlicher Art, die neben den zahlreichen Kirchenfesten von Bedeutung ist. Hier kann eine Gemeinschaft aus Dorf oder Bauernschaft sich selbst geschlossen darstellen und tüchtig feiernd die Sorgen des Alltages vergessen. Und so gehörten auch im Leben der Antoni-Bruderschaft zu Nottuln die Tage der Schützenfestes genauso zum Jahreskreis dazu, wie die Antoniusverehrung und das regelmäßig wiederkehrende Totembrauchtum. Die Satzungen aus dem Jahre 1753 sind für die volkskundliche Forschung ein Glücksfall, belegen sie doch in Form einer genauen Schützenfestordnung, wie wir uns diese kleine dörfliche Feier im 18. Jahrhundert vorstellen können. Faszinierend ist es auch zu sehen, dass zahlreiche Elemente dieser alten Zeit sich noch heute im Ablauf des Schützenfestes wiederfinden lassen. Stellen wir uns nun im Folgenden ein solches Fest einmal vor, so wie es die Statuten von 1753, die Abrechnungen und andere Quellen wiederspiegeln. 

Termin des Schützenfestes war immer „Mittsommer“, der Tag des Heiligen Johannes Baptista (24. Juni), ein auch im übrigen Münsterland geschätzter Termin. Die Frühjahrsarbeiten in Feld, Garten und Wald waren abgeschlossen, man wartete auf die Ernte und hatte Zeit. Am Sonntag vor Johann ließ der Älteste Gildemeister ein Publikandum in der Kirche verlesen, in dem alle Mitbrüder zum Feste aufgeboten wurden. Der Prediger erhielt für das Publikandum übrigens 1 Schilling und 2 Deut.
Am Johannistag selbst kamen dann die Schützen mit Gewehr, Pulver und Kugeln am bezeichneten Gasthause zusammen, und zwar nach dem nachmittäglichen Gottesdienst, der wohl in Form einer Andacht (Christenlehre) gehalten wurde. Im Gasthaus begann man dann schon vor dem Auszug mit einer kleinen Zeche. Exakt eine Tonne Bier (135 Liter) durfte getrunken werden, während die Gildemeister anhand des Bruderschaftsbuches die Anwesenheit kontrollierten. Wer beim Vogelschießen unentschuldigt fehlt, verfiel in eine Strafe von einem Scheffel Gerste zugunsten der Bruderschaft. Diese Gerste war sicherlich fürs Brauen im nächsten Jahr bestimmt. 

Nach der Anwesenheitskontrolle zog die Bruderschaft „zwei und zwei unter Fahne und Trommelschlaf nach der Stange“. Hier wurde der Vogel aufgesetzt und die Stange von den jüngsten Brüdern hochgezogen. Anschließend wurde wie heute noch ein gebet gesprochen, „dass der Herrgott uns vor Schaden bewahren möge“. Dem folgte die Ermahnung, ein jeder solle sein Gewehr wohl beachten und in die Höhe halten. Ermahnung und Gebet waren bei der Waffentechnik der Zeit doch vonnöten, zahlreich sind die Berichte von Unfällen beim Schießen. Der König tat übrigens wie heute auch noch den ersten Schuss auf den neuen Vogel. Schon 1753 wurde die Strafbestimmung verkündet, dass niemand den Vogel abschießen dürfe, der nicht Mitglied der Bruderschaft sein. Ein Frevler verlor noch auf dem Platz sein Gewehr und hasste eine Tonne Bier als Strafe zu bezahlen. Natürlich wurde dann der Vogel wieder aufgesetzt.

Nach dem Königsschuss erfolgte eine Salve zu Ehren des neuen Regenten, danach zog man in gewohnter Form zurück zum Gasthaus. Spätestens für 1823 ist dann auch der Fahnenschlag vor der „geistlichen und weltlichen Obrigkeit“ bekannt, der man damit die Reverenz erweisen wollte. Der älteste Schäffer hatte sodann die Aufgabe, der Frau Äbtissin von Nottuln eine Kruke Bier zu bringen „zur Probe, ob das Bier gut und gefällig sei“, und auch ihre Mägde zum Tanze einzuladen. Ebenfalls wurde den Ortsgeistlichen die Aufwartung gemacht, „um die Bruderschaft verzieren zu helfen“. Die Geistlichen erhielten auf dem Fest Pfeife, Tabak und Bier vorgestellt. Bei der Äbtissin, die ja zugleich Archidiakon für Nottuln war – Inhaberin der geistlichen Aufsicht also -, hatte der Schäffer noch die Erlaubnis zum Läuten einzuholen. Üblich war es nämlich, dass die jüngsten Brüder am Abend des Johannistages eine Stunde läuteten, zudem wurde am folgenden Morgen „in drei Pausen gebäuert“. Bei diesem Läuteverfahren wurden die Klöppel der drei Glocken an die Glockenkante gezogen und mit Hilfe von Pedalen in monotonem Rhythmus angeschlagen. Eine Pause dauerte ca. zahn Minuten und leistete die akustische Vorbereitung für den Gottesdienstbesuch. 

Ohne Zweifel wurde der Abend des Johannistages mit einem Tanz gestaltet, der sich jedoch nicht bis zur Mitternacht erstrecken sollte. Ungefähr gegen 9 Uhr des Abends hatte der Älteste Schäffer auf Befehl des Gildemeisters an das Bierfass zu klopfen. Wenn dann noch etwas eine halbe Tonne vorhanden war, wurde der König von einigen der jüngsten und ältesten Brüder nach Hause geleitet, jedoch nur unter Trommelschlag und Mitnahme eines Trunkes Bier, den der Schenk zu tragen hatte. Um diese Bestimmung streng einzuhalten, ging auch der jüngste Schäffer als Aufsicht mit, er hatte nämlich die „Kinder und nicht zur Gilde gehörende“ zu vertreiben. Sobald dann im Gasthause die halbe Tonne Bier verzehrt war, gingen die übrigen Festteilnehmer nach Hause, „um so den folgenden Morgen in der Kirche beim Gottesdienst gehörig erscheinen zu können; hiermit wird für den ersten Tag der Keller geschlossen“.

Am zweiten Tag des Festes eröffnete das Geläut das Treffen am Gasthaus, das übrigens stets auf 7 Uhr früh festgelegt war. Vom Gasthaus aus ging man gemeinsam mit den Frauen zum Gottesdienst. Liturgischem Brauch der Zeit entsprechend wurden drei Messen nacheinander gefeiert, eine Predigt, der alle andächtig folgen sollten, wurde ebenfalls gehalten. „In der Predigt sollen alle am Mehrsten zur brüderlichen Lieben, zum Frieden und zur Einigkeit ermahnt werden; damit alle Uneinigkeit, Streit und Zwiespalt, einherzlich mögen ablegen; nur zu Notdurft trinken, sich nicht Vollsaufen, sondern in aller Ehrbarkeit sich lustig machen; brüder- und schwesterlich leben, und sich aufführen, auf dass sie nach diesem Leben durch die Fürbitte des h. Anton die ewige Seligkeit erlangen mögen, dass die Einverleibten für die Abgestorbenen beten mögen.“

Nach dem feierlichen Gottesdienst erfolgten wohl Frühschoppen und gemeinsames Mittagessen. Für den Nachmittag des zweiten Tages wurden die Ehrengäste wieder geladen, darunter auch die „Jungfern“ des Herrn Geistlichen. Wieder erhielten die Geistlichen besondere Aufwartung und bekamen Pfeifen, Tabak und Bier: „Keiner soll sich unterstehen, von vorgemeldeten Pfeifen, Tabak und Bier, so auf dem Tische vor den Herren Geistlichen vorhanden, zu nehmen; ebenso soll sich keiner bei denselben niedersetzen, es wäre dann jemand, der da von dem Gildemeister verordnet wäre, den Herren Geistlichen Gesellschaft zu leisten in aller Ehrbarkeit und Gelassenheit“. 

Natürlich ging es auch ausgelassen zu, wenn man mal einen über den Durst trank. Kam es aber zu „Zank, Zwiespalt oder Uneinigkeit“, so wurde der Störenfried aus der Festgesellschaft gewiesen. Wurde keine Abbitte geleistet, verfiel er einer Strafe, die mit dem Ausschluss aus der Bruderschaft zu enden pflegte. Bei kleineren Verstößen wurde ein altes Strafgericht verfügt: „Wenn es sich zutrüge, dass jemand ein Gezänk oder Streit bei Zusammenkunft der Gilde haben oder verursachen würde, der soll noch, wie vom Anfange her geschehen ist, seine Fuß in ein Küven voll Wassers setzen, und ein Glas Bier zur Versühnung trinken; und ist dies geschehen, so soll keine fernere Strafe erfolgen.“

Am Abend des zweiten Tages klang dann das Fest aus:

„Den andern Tag, wenn das Bier verzehrt ist, soll einer dem andern den Frieden wünschen mit dem Versprechen: das, wenn Gott sie erhalten würde, sie sie künftiges Jahr also wieder zusammen kommen, sich in Not und Tod getreu beistehen und die Bruderschaft wieder verzieren helfen wollen“.

Der König erhielt zum Zeichen seiner Würde einen neuen Hut, der wohl mit einem Blumenkranz geschmückt war. Zum steten Andenken an seine Würde stiftete er aber auch ein Schild zur Königskette, die auch bei der Nottulner Bruderschaft als wichtigstes Zeichen den Silbervogel trug. Diese ist im Laufe der Jahrhunderte die volkskundlich schönste Quelle Nottulner Schützenbrauchtum geworden. 
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